Nicht-sexistisch schreiben, Teil 2
Oct. 6th, 2015 09:33 pm![[personal profile]](https://www.dreamwidth.org/img/silk/identity/user.png)
![[community profile]](https://www.dreamwidth.org/img/silk/identity/community.png)
Danke an Black Zora für die Inspiration.
Kommen wir zum Thema Realismus.
Problem: Im Mittelalter (oder sonst wann, oder heute noch) sind/waren alle total sexistisch. Muss man darüber nicht realistisch schreiben?
Lösung: Man kann realistisch darüber schreiben ohne es romantisch zu verbrämen. Schon fünfjährige Mädchen merken - auch heute noch - dass Jungs mehr dürfen, und das alles irgendwie ungerecht ist. Im Mittelalter soll das niemand gemerkt haben? Unwahrscheinlich.
Warum soll der unehelich Schwangeren, über die sich das ganze Dorf das Maul zerreißt, nicht auffallen, dass zum Kindermachen immer noch zwei gehören?
Warum sollen die Frauen im Tross eines Heeres nicht bemerken, dass die feinen Herren an der Front sehr schnell aufgeben würden, wenn ihnen nicht jemand den Arsch nachtragen würde?
Als Autorin kann man die Realität über die man schreibt nicht ändern, aber man kann entscheiden, über welche Einzelheiten man schreibt.
Jede Zeitung entscheidet, über welche Ereignisse sie in den Schlagzeilen berichtet und über welche in fünf Zeilen irgendwo im Mittelteil, oder eben gar nicht. Eine altbekannte Methode, die Wahrheit zu sagen, und trotzdem Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen.
Weiterhin spielt das WIE eine Rolle.
Wenn ein Protagonist sich für den Tollsten hält, aber dauernd aus eigener Blödheit auf die Fresse fällt, dann wird aufmerksameren LeserInnen früher oder später auffallen, dass die Autorin bzw. der Autor diesen Typen wohl doch nicht für ganz so fehlerfrei hält.
Die kleine, bescheidene Magd, die sich aufgrund ihrer Erziehung für dumm und unbedeutend hält, kann anderen Protas zigmal den Hintern retten, dann wird irgendwem schon auffallen, dass das "Ich bin doch nur ein schwaches Weib" nicht die Meinung der Autorin ist.
Zur Recherche kann ich hier "Tess von den D'Urbervilles" empfehlen. Der Autor hat über seine eigene Zeit geschrieben, der er allerdings voraus war, und schafft es trotzdem, zu zeigen, dass der Protagonistin bitteres Unrecht geschieht.
Ferner stellt sich natürlich die Frage, ob man überhaupt realistisch schreiben will. Meine männlichen Figuren sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht realistisch. Weil ich Fantasy schreibe, und mir meine Welt mache wie sie mir gefällt. Dazu ist Fantasy (unter anderem) schließlich da. Wenn ich einen Bilbo Baggins will, der noch nie in seinem Leben von sowas blödem wie einem männergemachten Abtreibungsverbot gehört hat, dann mach ich das einfach. Basta.
Immerhin tue ich nicht so, als könnte man aus einem Frosch einen Prinzen machen. Bei mir sind alle von Anfang an Prinzen, und so viel Vernunft, zu erkennen, wenn ein Kerl im realen Leben eben kein Prinz sondern ein Frosch ist, trau ich meinen Leserinnen schon zu.
Kommen wir zum Thema Realismus.
Problem: Im Mittelalter (oder sonst wann, oder heute noch) sind/waren alle total sexistisch. Muss man darüber nicht realistisch schreiben?
Lösung: Man kann realistisch darüber schreiben ohne es romantisch zu verbrämen. Schon fünfjährige Mädchen merken - auch heute noch - dass Jungs mehr dürfen, und das alles irgendwie ungerecht ist. Im Mittelalter soll das niemand gemerkt haben? Unwahrscheinlich.
Warum soll der unehelich Schwangeren, über die sich das ganze Dorf das Maul zerreißt, nicht auffallen, dass zum Kindermachen immer noch zwei gehören?
Warum sollen die Frauen im Tross eines Heeres nicht bemerken, dass die feinen Herren an der Front sehr schnell aufgeben würden, wenn ihnen nicht jemand den Arsch nachtragen würde?
Als Autorin kann man die Realität über die man schreibt nicht ändern, aber man kann entscheiden, über welche Einzelheiten man schreibt.
Jede Zeitung entscheidet, über welche Ereignisse sie in den Schlagzeilen berichtet und über welche in fünf Zeilen irgendwo im Mittelteil, oder eben gar nicht. Eine altbekannte Methode, die Wahrheit zu sagen, und trotzdem Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen.
Weiterhin spielt das WIE eine Rolle.
Wenn ein Protagonist sich für den Tollsten hält, aber dauernd aus eigener Blödheit auf die Fresse fällt, dann wird aufmerksameren LeserInnen früher oder später auffallen, dass die Autorin bzw. der Autor diesen Typen wohl doch nicht für ganz so fehlerfrei hält.
Die kleine, bescheidene Magd, die sich aufgrund ihrer Erziehung für dumm und unbedeutend hält, kann anderen Protas zigmal den Hintern retten, dann wird irgendwem schon auffallen, dass das "Ich bin doch nur ein schwaches Weib" nicht die Meinung der Autorin ist.
Zur Recherche kann ich hier "Tess von den D'Urbervilles" empfehlen. Der Autor hat über seine eigene Zeit geschrieben, der er allerdings voraus war, und schafft es trotzdem, zu zeigen, dass der Protagonistin bitteres Unrecht geschieht.
Ferner stellt sich natürlich die Frage, ob man überhaupt realistisch schreiben will. Meine männlichen Figuren sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht realistisch. Weil ich Fantasy schreibe, und mir meine Welt mache wie sie mir gefällt. Dazu ist Fantasy (unter anderem) schließlich da. Wenn ich einen Bilbo Baggins will, der noch nie in seinem Leben von sowas blödem wie einem männergemachten Abtreibungsverbot gehört hat, dann mach ich das einfach. Basta.
Immerhin tue ich nicht so, als könnte man aus einem Frosch einen Prinzen machen. Bei mir sind alle von Anfang an Prinzen, und so viel Vernunft, zu erkennen, wenn ein Kerl im realen Leben eben kein Prinz sondern ein Frosch ist, trau ich meinen Leserinnen schon zu.
no subject
Date: 2015-10-06 10:25 pm (UTC)Ich würde also nicht unbedingt auf Biegen und Brechen heraus zeigen wollen, dass Frauen lange Jahre benachteiligt waren, sondern auch wirklich nur dann, wenn es zwingend für den Text erforderlich ist. Alles andere würde für mich dem Zeitgeist zuwider laufen.
no subject
Date: 2015-10-06 10:41 pm (UTC)Aber so ein simples "Ähhh, das ist irgendwie scheiße", ist einfach logisch. Weil Menschen auffällt, wenn sie extrem benachteiligt werden.
Das mag früher mit einem "Kann man nix machen, steht so in der Bibel" oder was auch immer weggewischt worden sein, aber die Leute haben es mit Sicherheit bemerkt.
Und klar, der Großteil war wahrscheinlich genauso kurzsichtig wie heute eben auch. Will heißen, die Denke ging wahrscheinlich nur bis "Es wäre toll einen Ehemann zu haben der mich nicht schlägt" und nicht bis "Es wäre toll, wenn mein Ehemann mich nicht schlagen dürfte".
Was wäre denn deine Vermutung, was eine unehelich schwanger gewordene Frau denkt, wenn sie vom ganzen Dorf gemobbt wird, und der Kerl der an der ganzen Sache beteiligt war, ungestraft davonkommt?
Schon im alten Griechenland haben die Männer gemerkt, dass sie die Frauen unterdrücken, und das mal nach hinten losgehen könnte. Siehe Sagen über die Amazonen.
Die meisten Ideen sind zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich durchsetzen, nicht mehr neu. Nur ihre Umsetzung ist aus verschiedenen Gründen möglich geworden.
no subject
Date: 2015-10-07 09:52 am (UTC)Ich habe z.B. mal ein Seminar zum Thema Frauen(rechte) im Islam gemacht und tatsächlich waren viele Gesetze und Regeln für die Anfangs- und Blütezeit der Religion sehr fortschrittlich. Das man das nicht 1:1 auf heute übertragen kann, ist ja auch klar.
Grundsätzlich würde ich aber auch annehmen, dass sich misogyne Strukturen (wie alle Herrschaftsverhältnisse) mit unserem (post)modernen Verständnis schwer als rein akzidentiell fassen können, sondern wir sie immer irgendwie identitär interpretieren. Also, dass sie von den Leuten übernommen wurden, weil sie einfach "natürlich" erschienen.
Das ist ja auch ein Grund, warum vielen Frauen heutzutage gar nicht auffällt, dass sie diskriminiert werden, es ist einfach so normal. Und klar, es gab schon immer Ausnahmen, aber irgendwie ist die Forderung an Gleichberechtigung auch immer daran gebunden, was man sich an allgemein menschlicher Freiheit + Gleichheit gerade vorstellen kann. :)
Ach, und übrigens, weil ich es gestern zufällig beim Browsen durch mein aktuelles Lieblingsfandom entdeckt habe und Thomas Hardy erwähnt wurde: What does Tess of the D’Urbervilles Have in Common with Fifty Shades? Abuse.
no subject
Date: 2015-10-07 10:17 am (UTC)Der Trick beim Schreiben ist, quasi ein Spotlight auf diese nebenbei gesagten Dinge zu werfen.
Eben die Frau vor dem Spiegel mit der Sorge "Seh ich nuttig aus?" direkt mit der Frau zu kontrastieren die als prüde beschimpft wird, etc.
Man muss die Dinge nicht explizit hinschreiben, um Zusammenhänge aufzuzeigen.
Danke für den Link, muss ich gleich mal lesen. Das Zitat aus "Tess" hab ich in FSoG als Hinweis auf den restlichen Plot gelesen. Ein Schuldeingeständnis sozusagen.
Edit: Ich habe den Artikel jetzt gelesen. Und die Kommentare. Was da wieder für ein Dummfug behauptet wird von wegen Ana werde doch gar nicht vergewaltigt. Doch! Wird sie! Und die Autorin gibt es selbst zu!
Manchmal hab ich den Verdacht E.L. James wollte einfach mal sehen wie lange es dauert bis jemand merkt, dass sie über eine abusive relationship und sexuelle Gewalt schreibt und hat festgestellt, dass es keiner merkt. Worauf sie beschlossen hat, damit Geld zu verdienen.
rape culture
Date: 2015-10-07 12:36 pm (UTC)__
Aber ja, ich finde auch, dass man sich auch in diesen Fällen eher zeigen sollte als erzählen. Ich meine, wer liest schon gerne ethische Abhandlungen? Also ich nur, wenn ich eine ethische Abhandlung lesen will. :P
__
Erst Regel des Internets: lies niemals die Kommentare. :D
Es wäre ja schön, wenn da Kalkül dahintersteckte, das würde die Sache irgendwie rational nachvollziehbar machen. Ich glaube das nur leider nicht. Twilight ist schon voller Romantisierung von Übergriffen. 50SoG bringt das nur auf den "erotischen" Punkt, indem es aufdröselt, dass Ana Christians Begehren begehrt, nicht *ihn selber*. Dass er so ein Arschloch ist und keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nimmt, ist dabei sogar der eigentliche Anturner. Ich hab auf Papier Ist Geduldig kürzlich ein paar Sachen zu Rapefic geschrieben, wenn es dich interessiert.
Das ist eine Struktur, die es bei Fanfic häufiger gibt, gerade in den Fandoms oder bei den Pairings, die nicht so viele queere und/oder liberale Fans anziehen.
___________________________________________________________
[Achtung, CW, Zusammenfassung einer Übergriffszene im Anschluss] Ich hatte z.B. vor ein paar Monaten eine kurze Unterhaltung mit einer Fanfic-Autorin, die eine Romanze erzählen wollte, im Rahmen derer ihr OFC vom Objekt, verzeihung Subjekt ihres Begehrens vergewaltigt wird, weil er einfach nicht mehr an sich halten kann. In der Geschichte ist das auch nicht als lustvolle Überwältigung der Leidenschaften beschrieben, sondern ganz klar als physische Gewalt. Die Frau ist natürlich, um die Sache abzurunden, noch Jungfrau; und nachdem alles so richtig Scheiße ist, kommt ein lustiger Handlungsturn aus dem Nichts, nach der dann der Sex plötzlich phänomenal toll ist. D.h. nicht nur wird eine Vergewaltigung romantisch gerechtfertigt, nein, sie wird auch noch als Inbegriff des "ersten Mals" gezeichnet, der schmerzhafte Initiationsritus nach dem man überhaupt erst sexuelle Lust empfinden kann. Natürlich unter der Prämisse des Kontrollverlusts. Und als ob das noch nicht fucked-up genug gewesen wäre, musste ich noch darüber diskutieren, dass das eine Vergewaltigung war (Aber hey, ihr hat's doch dann auch Spaß gemacht) und dass es entsprechend das Mindeste wäre, wenigstens eine Vorwarnung zu geben. (Ja wieso denn, ich hab doch das Altersrating schon auf 18 gesetzt, dann muss man halt mit graphischen Sexszenen rechnen.) Von so viel Ignoranz war ich echt ... leicht überrascht könnte man sagen.
Und in den Kommentaren wurde die Szene auch nur als "echt heiß" bejubelt. Dagegen ist dann sogar 50SoG harmlos.
Und ich sage das, *obwohl* ich selber kink-mäßig relativ nahe dran bin und ich solche Fantasien alles andere als moralisch verurteilen möchte. Ich finde halt nur, dass man sie nicht unreflektiert in ein romantisches Narrativ einbetten kann.
___________________________________________________________
Re: rape culture
Date: 2015-10-07 01:37 pm (UTC)Es ist schon "witzig", dass der Admin auf seinem Blog die Existenz einer Rape Culture ableugnet, und im Forum wundern sich alle, warum denn bloß das Archiv so voll von Rapefics sei.
Bei AO3 ist man da differenzierter, da habe ich bislang nur eher geringfügige Konsentmissachtungen in unmarkierten Fics gefunden.
Wenn die "Alten Hasen" vernünftig sind, dann ziehen auch die Nachwuchsautorinnen mit.
Während auf FF.de gilt, dass Vergewaltigung=Sex und "Das ist das Genre Erotik, da gehört das so". Zumindest war das so, als ich das letzte Mal versucht habe da was zu lesen zu finden.
Und auch da passen sich die Leute natürlich den Gegebenheiten an. Wenn andere viel schlimmere Sachen ohne Kennzeichnung schreiben, sieht man auch die Notwendigkeit einer Triggerwarnung nicht ein.
Re: rape culture
Date: 2015-10-07 01:49 pm (UTC)Auf AO3 sieht man ziemlich gut, wie der Konsens aus dem Diskurs entsteht. Mir kommen da auch häufiger falsch oder nicht getaggte Geschichten unter, aber idR reicht ein Hinweis auf das Versäumnis. Zumindest herrscht nicht völlige Ignoranz.
Ich hab ja schon auch versucht, argumentativ zu den OPs durchzudringen, und Gwenny hat mir sogar angeboten, einen Beitrag auf dem OP-Blog zu veröffentlichen, wenn ich einen schriebe. Ich hab dann aber schon an der Diskussion gesehen, dass es von OP-Seite keine Aufnahmebereitschaft gibt. Da wird einfach nur in der Dichtomie von "verboten" und "erlaubt" gedacht und was jeweils was ist, wird von der übergeordneten Autorität festgelegt. Unterschiedliche Sensibilität oder einfach Vorlieben sind da kein Argument, das man gelten lässt. Ist doch völlig okay, wenn man Leute ins offene Messer laufen lässt. Die sollen sich einfach mal nicht so anstellen.
Wie gesagt, mein Probleme mit FFde resultieren nicht nur aus Helges Blogbeiträgen, die sind auf ne Art nur die Spitze des Eisbergs, sondern darin, dass die Positionen vom gesamten Team mitgetragen werden und es eine grundsätzliche Weigerung gibt, über den eigenen Tellerrand hinauszugucken. Ist ja auch ihre Sache, wenn sie sich im Hort der Unvernunft wohl fühlen, aber durch die Monopolstellung innerhalb der deutschsprachigen Fanfic-Kultur hat das halt eine sehr prägende Wirkung. (seufz)
no subject
Date: 2015-10-14 08:58 pm (UTC)Warum muss sich Fantasy überhaupt an der Realität des Mittelalters orientieren?
no subject
Date: 2015-10-14 11:05 pm (UTC)@ velence: Ich glaube, mit "Mittelalter" hat Mawgon einfach nur ein Stichwort aufgegriffen, das ich in Teil 1 des Themas gegeben hatte.